
Gipfelstürmer
Alexander von Humboldt bluteten die Hände, als er sich am 23. Juni 1802 die steilen Hänge des fast 6300 Meter hohen Chimborazo in den Anden des heutigen Ecuadors hinaufkämpfte. „Unsere Begleiter waren vor Kälte erstarrt und ließen uns im Stich“, notiert Humboldt später in seinem Tagebuch. „Sie versicherten, sie würden vor Atemnot sterben, obwohl sie uns wenige Stunden zuvor voller Mitleid betrachtet und behauptet hatten, daß die Weißen es nicht einmal bis zur Schneegrenze schaffen.“ Eine Fehleinschätzung. Humboldts Beschreibung des Aufstiegs verdanken wir die erste genaue Schilderung der Symptome der Höhenkrankheit. Trotz ungeeigneter Schuhe, Bekleidung und Ausrüstung gelangten Humboldt und seine Begleiter Aimé Bonpland und Carlos Montúfar fast bis zum Gipfel des Chimborazo, mussten aber wegen einer unpassierbaren Felsspalte 400 bis 800 Meter unterhalb des Kraters umkehren. Nie waren vorher Menschen höher gestiegen. Gut 215 Jahre später scheitern Bergsteiger an dem höchsten Berg Ecuadors in gleicher Höhe - obwohl sie besser ausgerüstet und akklimatisiert sind, und auch die Anreise im Vergleich zu jener Humboldts einfach ist.

Die Kombination aus Reisen und Forschen stellte für Alexander von Humboldt eine ideale Verbindung dar. Nach ersten Reisen in Europa 1789/90 konnte er – dank des geerbten Vermögens – seinen Wunsch planen und vorbereiten: in die Tropen reisen und möglichst viele Aspekte der belebten und unbelebten Natur erforschen. Von 1799 bis 1804 reisten Humboldt und sein Begleiter Aimé Bonpland durch Süd- und Mittelamerika, von Spanien über die Kanarischen Inseln nach Venezuela und Kuba, durch die Anden an die peruanische Küste, nach Mexiko und mit Zwischenstopp in den USA zurück nach Europa. Diese große Reise wurde als die zweite, die wissenschaftliche Entdeckung Südamerikas gefeiert. Seinen 60. Geburtstag verbrachte Humboldt auf seiner zweiten großen Expedition in Russland. Sie verlief über St. Petersburg, Moskau, Nischni und Nowgorod bis nach Kasan. Von Jekaterinburg aus begann die Erkundung des Ural. Der Wunsch Humboldts, die chinesische Grenze zu überschreiten und Tibet zu betreten, ging jedoch nicht in Erfüllung. Kurz vor Weihnachten, nach einer Fahrt von 18.000 Kilometern, kam Humboldt wieder in Berlin an.
Erfinder
Sein Ideenreichtum und kreatives Denken machten Humboldt nicht nur zum Forscher sondern auch zum Erfinder. Er entwickelte zwischen 1792 und 1797 als (Ober-)Bergmeister in Franken eine „lichterhaltende Lampe“. Für die Entwicklung dieser Grubenlampe führte er Versuche unter Tage durch und setzte für seine Forschungszwecke sein eigenes Leben auf Spiel. Humboldt fiel bei einem der Tests sogar in Ohnmacht. Schließlich aber funktionierte sein Konzept: Die Lampe konnte nach einigen Verbesserungen genutzt werden. Die Humboldt’sche Lampe war erfunden. Eine weitere Erfindung war eine Art von „Rettungsflasche“, die das Atmen in sauerstoffarmen Situationen erleichtern sollte. Auch dafür setzte Alexander seinen Körper als Versuchsobjekt ein und füllte einen Raum mit gesundheitsgefährdenden Gasen, um das Atemgerät auf seine Funktionalität zu testen.

Der Universalgelehrte Humboldt beschäftigte sich mit einer Vielzahl von Forschungsgebieten: von Vulkanologie und Geologie über Kartografie, Erdmagnetismus, Botanik und Zoologie, Ethnologie, Wirtschaft, Landwirtschaft und Bergbau bis hin zu Astronomie, Meteorologie und Meereskunde. Naturwissenschaftliche Disziplinen wie die physische Geographie, die Klimatologie, die Ökologie oder die Ozeanographie sehen in Humboldt ihren Begründer.
Ziele seiner Expeditionen und seiner Forschungen waren das gesamte Wissen über die Welt zu erlangen und damit das Zusammenwirken aller Naturkräfte zu verstehen. Sein Alterswerk, der fünfbändige „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“ ist in seinem umfassenden Ansatz bis heute einzigartig geblieben. Seine Kosmos-Vorlesungen an der Berliner Universität galten als der kulturelle Höhepunkt des Jahres 1826 in Berlin.
Initiator
Neben der Rolle als Begründer der Naturschutzbewegung und der „Ökologie“ ist Humboldt ebenso als Initiator beinahe aller naturkundlichen Disziplinen zu bezeichnen. Seine Vorstellung, die wissenschaftlichen Disziplinen zu vernetzen, revolutionierte den Austausch zwischen den Forscher_innen seiner Zeit. Getrieben durch das Bedürfnis der Wissensverbreitung schaffte Humboldt es, sein angesammeltes Wissen zu bündeln und für die unterschiedlichen Zielgruppen zur Verfügung zu stellen. Seine Forschungsergebnisse sollten für alle zugänglich sein, Wissenschaftler_innen wie auch Bürger_innen. Humboldt förderte sein großes Beziehungsnetzwerk und gründete eine weltweite Vernetzung durch Korrespondenzen und interdisziplinären Ergebnisaustausch – zu seiner Zeit eine nie dagewesene Art des Informationsaustausches.

Alexander von Humboldt war ein globaler Netzwerker und Kosmopolit. Er bereiste die Welt, pendelte zwischen Paris und Berlin wie zwischen Kunst und Wissenschaft, Literatur und Politik. So wie Humboldt Naturwissenschaften in einem ganzheitlichen Ansatz interdisziplinär ineinandergreifen sah, wollte er auch Menschen verbinden. Seine Ideen überwanden nicht nur Kontinente und Meere, sondern auch Gesellschaftsschichten und Wissenschaftsgrenzen. Er vernetzte Forscher seiner Zeit über politische Barrieren hinweg und förderte den Austausch mit fremden Kulturen. Die Wissenschaft sah er immer im Zusammenspiel mit dem Menschen und setzte sich für einen öffentlichen Zugang von Bildung für Bürger_innen aller Stände ein. Seine Ideale von Freiheit und Brüderlichkeit öffneten ihm damals die Tore zu fremden Kulturen, heute machen sie ihn nicht nur zu einem Vorbild als Wissenschaftler, sondern auch als Mensch.
Vordenker
Alexander von Humboldt gilt heute als Vordenker für das 21. Jahrhundert, der globalen Kooperation und des transdisziplinären Forschens. Er war ein Visionär. Mit seinem ganzheitlichen Blick schuf Humboldt die Basis für unser Verständnis einer vernetzten Umwelt voller Wechselwirkungen. Bereits vor etwa 200 Jahren begründete er eine integrative Naturforschung in Geologie und Biologie und erkannte schon damals die zentrale Rolle des Menschen. Das Besondere an Alexander von Humboldt ist sein Sinn für Gesamtzusammenhänge. Nach der Aufspaltung der Wissenschaften in spezialisierte Einzeldisziplinen hat sein global-ökologischer Ansatz erst seit Ende des 20. Jahrhunderts wieder an Bedeutung gewonnen.

„Von halb drei an sah man höchst merkwürdige Feuermeteore. Tausende von Feuerkugeln und Sternschnuppen fielen hintereinander, vier Stunden lang.“ So beschrieb Alexander von Humboldt den Leonidensturm, den er mit seinem Begleiter Aimé Bonpland im November 1799 von Venezuela aus beobachtet hatte. Humboldts Beobachtungen führten zu der Erkenntnis, dass es sich um ein periodisches Ereignis handelte. So richtig spektakulär werden die Leoniden (Sternschnuppenstrom) nur alle 33 Jahre, wenn die Erde die Umlaufbahn des Kometen Tempel-Tuttle kreuzt. Ist der Schweifstern gerade erst durchgeeilt, ist die hinterlassene Spur frisch und voller Staubteilchen. Das nächste große Feuerwerk am herbstlichen Nachthimmel ist erst wieder im Jahr 2031 zu erwarten. Doch Humboldt konnte nicht nur Leoniden beobachten, er und der Mineraloge Gustav Rose konnten sich auf der Reise durch Sibirien an der Entdeckung von Meteoriten erfreuen.
Abenteurer
Am 30. März 1800 ist es endlich soweit, Alexander von Humboldt und sein Begleiter Bonpland brechen auf ins Herz des Regenwaldes von Südamerika, um den rätselhaften Urwaldkanal namens Casiquiare zu finden und damit eines der größten Geheimnisse der Neuen Welt zu lösen. Es ist eine gewagte Expedition, denn Humboldt kann nicht schwimmen. Aber auch andere Gefahren lauern. Neben Schlangen und Krokodilen tummeln sich Jaguare im Unterholz und blutrünstige Piranhas im Fluss. Noch abenteuerlicher sieht der Speiseplan der Forscher aus. Wenn sie von den Ureinwohnern zum Essen eingeladen wurden, gab es gegrilltes Affenfleisch, Ameisen und andere Insekten. Selbst Tiere, die mit Giftpfeilen getötet wurden, landeten auf Humboldts Teller. Hier zeigte er erneut seinen Mut, denn er wusste, das Gift ist nur tödlich, wenn es in die Blutbahn gerät, es zu essen ist ungefährlich. Eine weitere tödliche Gefahr, auf die er traf: Kannibalen. Vor kaum einer kulinarischen Herausforderung schreckte Humboldt zurück, doch ob er auch Menschenfleisch kostete? Darüber hat er zumindest nichts in seinem Tagebuch notiert.